Die Wehrpflicht-Debatte – Wenn Politiker das Wort 'Verantwortung' wiederentdecken
Veröffentlicht von Andrea Rau in Politik · Dienstag 10 Jun 2025 · 3:00
Tags: Wehrpflicht, Verantwortung, Verteidigung, Deutschland, Politik, Ministerpräsidenten, Militär, Sicherheit, Geschichte, Debatte
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Deutschen Gegenwartspolitik
Willkommen zurück im Verteidigungswunderland Deutschland, wo Helme fehlen, Panzer nicht fahren, Flugzeuge nicht fliegen und Ministerpräsidenten plötzlich das Wort „Wehrpflicht“ wiederentdecken, als hätten sie beim Aufräumen des Parteikellers einen alten Flyer aus den 80ern gefunden. „Guck mal, Verantwortung! Hatten wir auch mal!“ Und nun geht das Rätselraten los: Wie aktiviert man eigentlich eine Gesellschaft, die seit Jahren systematisch auf Entpflichtung und Betreuungsstaat gebürstet wurde?
Früher hieß es noch: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“ Heute heißt es: „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner kann drucken, weil der Drucker in der Kaserne kaputt ist und die Tonerkartusche auf NATO-Backorder steht.“ Und während man in Litauen Sandsäcke stapelt, diskutiert man in Berlin, ob Wehrpflicht denn überhaupt noch zeitgemäß ist. Antwort: Nein, aber das ist ein Regierungsflieger mit offenem Fenster über Mali auch nicht – und trotzdem ist er gestartet.
Die neue Lust an der Wehrpflicht hat natürlich nichts mit dem Krieg in der Ukraine zu tun. Nein, das ist rein zufällig. Man hat lediglich festgestellt, dass es junge Männer gibt, die den Unterschied zwischen Kompass und Kompott nicht mehr kennen. Da wird ein „Dienst an der Gesellschaft“ plötzlich zur Bildungsmaßnahme. Einmal Anstand und Disziplin zum Mitnehmen, bitte – wahlweise mit Tarnnetz oder Zivildienst-Weste.
Politiker schwärmen plötzlich von „Charakterbildung“, „Verantwortung“ und „Gemeinschaftssinn“ – alles Tugenden, die man sonst nur noch in historischen Serien auf arte findet. Ausgerechnet diejenigen, die sich seit Jahren damit rühmen, Bundeswehrkasernen in Kitas umzuwandeln, wollen jetzt eine „verpflichtende Bürgerzeit“ einführen. Und ja, man meint das ernst. Wer morgens nicht zur Schule kam, weil er „mental überlastet“ war, soll jetzt um 5:30 Uhr im Schlamm robben, um das Vaterland zu verteidigen.
Was dabei völlig übersehen wird: Die Bundeswehr ist gar nicht wehrpflichtfähig. Die Kasernen sind halb leer, das Material halb kaputt, die Struktur halb durchprivatisiert. In manchen Standorten ist die Kantine besser ausgestattet als das Munitionslager – und auch nur, weil der Betreiber ein Franchise-Unternehmen aus Wuppertal ist.
Wer jetzt einzieht, bekommt zur Begrüßung wahrscheinlich ein Butterbrot, eine Ehrenurkunde von 1987 und einen Bleistift mit der Aufschrift „Wird schon klappen!“.
Und selbst wenn man die Wehrpflicht wieder einführen würde: Wer soll das denn ausbilden? Die noch verbliebenen Ausbilder sind entweder 60+ oder seit der letzten Gebirgsausbildung in der Gleitzeit. Und was ist mit den Grundrechten? Die müssen warten – wir sind schließlich in Deutschland. Wenn etwas verpflichtend ist, dann ist der Rechtsstaat ohnehin nur noch Beifahrer.
Doch in einem Punkt sind sich alle Fraktionen plötzlich einig: Die Rückkehr zur Wehrpflicht könnte die Jugend wieder „erden“. Das klingt nach Vaterunser für Fortgeschrittene. Früher war das Argument: „Ein Jahr Bundeswehr macht aus Jungs Männer.“ Heute wäre man schon froh, wenn sie dabei lernen, wie man einen Eimer richtig trägt oder beim Marschieren nicht TikTok streamen.
Währenddessen wälzt das Innenministerium schon Pläne für den „Gesellschaftsdienst“ – eine Art sozialpädagogischer Militär-Surrogatdienst für alle, die beim Anblick eines Gewehrs Kreidebleich werden oder allergisch auf Uniformstoff reagieren. Und weil wir in Deutschland sind, wird es natürlich eine Auswahlkommission geben, ein Ampelsystem, ein digitales Meldeportal (das aber nicht funktioniert) und ein FAQ, in dem steht: „Bitte haben Sie Verständnis.“
Verständnis – das ist sowieso die neue Wehrfähigkeit der deutschen Politik: Verständnis für alles, außer Verantwortung.