Deutschland, das Bedenkenträgermonster – Fortschritt nur mit Gutachten, Gremien und Gewissensbissen
Veröffentlicht von Christoph Berger in Politik · Montag 09 Jun 2025 · 3:30
Tags: Deutschland, Bedenkenträgermonster, Fortschritt, Gutachten, Gremien, Gewissensbisse, Dichter, Denker, Zögern, Prüfen, Hinterfragen
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Willkommen im Land der Dichter, Denker und Bedenkenträger. Nirgendwo auf der Welt wird so professionell gezögert, geprüft, zurückverwiesen und hinterfragt wie in Deutschland. Hier ist der Fortschritt kein Ziel, sondern ein Prozess – und zwar ein sehr, sehr langer. Bevor etwas geschieht, muss es durch mindestens drei Ministerien, vier Ethikräte, zwei Föderalismusrunden, ein Beteiligungsverfahren, ein Volksbegehren, ein Gutachten und – zur Sicherheit – durch den Bundesrechnungshof. Der Fortschritt kommt, ja. Aber mit Fahrplan, Sicherheitsabstand und Helmpflicht.
Ein Land im Wartemodus. Während andere Nationen längst KI einsetzen, diskutieren wir noch, ob ein Chatbot möglicherweise das Persönlichkeitsrecht von Ludwig Erhard verletzt. Drohnenflüge? Schwierig. Datenschutz! Gentechnik? Um Gottes willen – was, wenn der Brokkoli ein Selbstbewusstsein entwickelt? Und Wasserstoff? Klar, total spannend. Nur leider zu leicht, zu teuer, zu gasförmig. Also erstmal eine Machbarkeitsstudie. Oder zwei. Oder zwölf. Wenn in Deutschland jemand „Wir müssten mal …“ sagt, dann ist das keine Einladung zur Tat, sondern ein Ausdruck tiefen Unbehagens über die bloße Vorstellung, dass jemand tatsächlich etwas tun könnte. Denn das wäre voreilig, riskant, ja vielleicht sogar marktwidrig. Und was sagt das Grundgesetz dazu? Oder der Bundesdatenschutzbeauftragte? Oder der Landesbeauftragte für Umweltgerechtigkeit? Ach, besser erst mal abklären.
Beispiel Digitalisierung: Während Schüler in Estland längst mit Tablets programmiert werden, hat Deutschland flächendeckend Faxgeräte eingeführt – zur Archivierung von Unterrichtsausfällen. Funklöcher gelten hier nicht als Makel, sondern als Kulturerbe. Und jeder Versuch, das Gesundheitswesen zu digitalisieren, endet spätestens dann, wenn eine Ethikkommission prüft, ob das E-Rezept nicht die Apothekerseele gefährden könnte. Oder nehmen wir den Infrastrukturausbau: Eine neue Bahnstrecke? Großartig! Nur leider dauert es 20 Jahre, weil zwischen Planung und Baubeginn noch ein Uhu entdeckt werden könnte. Und wenn der nicht kommt, tut es auch ein seltener Grashalm oder die Erinnerung an eine historische Mistel. Währenddessen bröckeln Autobahnbrücken wie politische Koalitionen – langsam, aber unaufhaltsam.
Der Bedenkenträger an sich ist eine besonders faszinierende Gattung: stets mit Sorgenfalten ausgestattet, niemals um eine Relativierung verlegen und grundsätzlich gegen alles, was nach Tempo, Risiko oder gar Effizienz aussieht. Fortschritt sei gut, sagt er – aber bitte mit Gefühl. Am liebsten mit Beteiligungsverfahren, bei dem auch die Oma aus Klein-Niederschönhausen ihre Meinung zur Ladesäulenverordnung einreichen kann. Die Politik hat diesen Reflex perfektioniert: Statt zu handeln, berät man sich in Talkshows. Statt Reformen umzusetzen, gründet man eine Kommission. Und wenn es gar nicht mehr weitergeht, kommt das Bundesverfassungsgericht. Oder ein runder Tisch. Oder eine „Zukunftsstrategie 2045“, bei der schon im Titel klar wird, dass mit Ergebnissen vor dem Renteneintritt des Projektleiters nicht zu rechnen ist.
Übrigens: Es ist kein Zufall, dass deutsche Gesetzestexte dicker sind als Brückenpfeiler. In ihnen wohnen die Sorgen, Bedenken, Hinweise, Ausnahmen, Übergangsregelungen, Ländervorbehalte und Fußnoten der letzten fünfzig Jahre. Jeder neue Absatz ist ein Denkmal an das Misstrauen gegenüber der Wirklichkeit. Und an die Angst, Fehler zu machen. Denn in Deutschland ist der größte Makel nicht das Scheitern, sondern das Handeln ohne Mehrheitsvotum, Umweltverträglichkeitsprüfung und Genderleitlinie.
Und so kriecht das Land durch die Gegenwart. Hochmoralisch, hyperkomplex und hermetisch gegen alles, was nach Geschwindigkeit riecht. In einem Land, in dem jede neue Idee zuerst mit dem Satz „Das haben wir schon mal probiert …“ beerdigt wird, ist der Fortschritt nicht nur schwerfällig – er ist verdächtig.
Auf den Punkt gebracht:
Deutschland ist die Supermacht des Selbstzweifels. Ein Land, das lieber zögert als zu irren, lieber diskutiert als entscheidet und lieber prüft als baut. Fortschritt ist hier eine Krankheit, die man mit Paragrafen, Prüfverfahren und Projektstellen bekämpft. Und wenn man sich fragt, warum wir trotz aller Gutachten, Ausschüsse und Debatten nicht weiterkommen, lautet die Antwort: Weil wir damit beschäftigt sind, Fortschritt zu verhindern – aus Prinzip. Und mit aller Gründlichkeit.
Deutschland ist die Supermacht des Selbstzweifels. Ein Land, das lieber zögert als zu irren, lieber diskutiert als entscheidet und lieber prüft als baut. Fortschritt ist hier eine Krankheit, die man mit Paragrafen, Prüfverfahren und Projektstellen bekämpft. Und wenn man sich fragt, warum wir trotz aller Gutachten, Ausschüsse und Debatten nicht weiterkommen, lautet die Antwort: Weil wir damit beschäftigt sind, Fortschritt zu verhindern – aus Prinzip. Und mit aller Gründlichkeit.